S. Externbrink: Ludwig XIV

Cover
Titel
Ludwig XIV. König im großen Welttheater


Autor(en)
Externbrink, Sven
Erschienen
Paderborn 2021: Brill / Schöningh
Anzahl Seiten
470 S.
von
Andreas Burri

Dass in der Geschichte Beziehungen zwischen Herrschertypen und Ästhetik, namentlich Schauspielerei auftreten, ist uns auch aus der Antike bekannt: Augustus erklärt auf dem Sterbebett die Vorstellung für beendet, Nero tritt als singender Schauspieler auf (so Sueton: De Vita Caesarum II,99 und VI,20 z. B.). Auch Ludwig (wo nicht anders erwähnt, hier fortan natürlich der XIV.) performte als Tänzer auf der Bühne, und als Politiker im «Welttheater». Ebenso geläufig ist uns dieser Begriff der Geschichte als Welttheater. Unter dieser ästhetischen Betrachtung der Vergangenheit wurde oft Problematisches geredet, so wenn tatsächlich sich ereignetes Leid wie Krieg in der Ausdrucksweise einer Heroenerzählung berichtet – und verstanden – wird. Vorliegendes Buch begeht diesen Fehler nicht.
Im Gegenteil bezieht es den Begriff «Welttheater» auf einen realpolitischen Gegenstand, wenn es seinen Fokus auf die Inszenierung der absolutistischen Monarchie durch Ludwig und dessen Hofstaat setzt. Dabei zeichnet es uns einen Monarchen, der von Beginn seiner Herrschaft an, geprägt von der Fronde, die politische Macht auf sich allein konzentriert und diese durch schauspielerische Verstellung, stoische Ruhe, Ehrfurcht heischendes Auftreten schützt und einsetzt (3, 5, 27–30, 144f., 204f., 211, 235f., 261f., 353f., 356–358).
Parallel zu seiner Schauspielerei in der europäischen Kabinettspolitik tanzt Ludwig als Sonne auf der Ballettbühne und gestaltet sich mit, in und um Versailles eine Kulisse, die über die Höfe Europas strahlt; um diese Gebärde ästhetischer Gravitätskraft ereignet sich eine künstlerische Prachtentfaltung an Musik, Literatur, Architektur, Plastik und Malerei, die einen – einige möchten vermutlich sagen: den – wesentlichen Ausdruck des Grand Siècle ausmachen (3, 6, 76, 125, 204f., 229–233, 308, 361f., 364f., 367).
Des Weiteren berichtet uns das Buch von den das neuzeitliche Frankreich prägenden religiösen Auseinandersetzungen in Ludwigs Zeitalter, und zeigt dabei, wie der absolutistische Monarch auch in seinem Glauben gedeutet werden muss. In der sich differenzierenden Religiosität der französischen Neuzeit, wie sie uns in den Religionskriegen bzw. der hugenottischen Bevölkerung, katholischen Reformbewegungen wie jene des Jansenismus und des tridentinischen Konzils, der gallikanischen Spannung zu Rom, aber auch der Frühaufklärung begegnet, sehen wir einen katholischen Ludwig, der Gott absoluten Gehorsam schuldet, und dies darin ausdrückt, dass er die Rolle des Monarchen lebt, die ihm von oben zugeschrieben wurde. Da dies aber alle Menschen tun müssen, schulden sie auch alle diesem französischen König, sofern sie seiner Regierung untertan sind, absoluten Gehorsam. Daneben hat nichts Platz, was nicht in den von Ludwig verstandenen Katholizismus passt: die hugenottische und jansenistische Bevölkerung wird in seiner Regierungszeit aus dem Land verdrängt (45f., 65, 72, 75, 82–85, 121–128, 147–149, 152, 162–164, 177–187, 199, 229–233, 269, 302–306, 311, 318, 322, 327f., 331, 336, 353–358).
Ähnlich diesem religiösen Empfinden funktioniert das gesellschaftliche: Das Buch interpretiert Ludwigs kriegerische Außenpolitik v. a. aus seinem adeligen Selbstbewusstsein, das nach Ruhm strebt; wie bei seinen politischen Vorgängern (Franz I., Heinrich IV., Ludwig XIII., aber auch Richelieu) ist dieser Ruhm aber ein martialischer. Ein weiterer Ausdruck dieses ständischen Bewusstseins ist das dynastische Interesse, welches das Buch als den zweiten auschlaggebenden Beweggrund Ludwigs kriegerischer Außenpolitik interpretiert. Insofern in der höfischen Welt Ludwig mit diesem Empfinden nicht alleine stand, und die über Europa verstreuten Häuser tendenziell irgendwie verwandt waren, hatten alle Anspruch auf alles, weshalb die europäische Neuzeit so gut wie kein Jahr ohne Krieg lebte (75, 82–85, 128, 130, 263–273, 302, 336, 341, 344f.).
Eindeutige Stärke vorliegenden Buches ist, dass es immer wieder seinen Blick auf die armen Menschen richtet, die massiv unter dieser Regierung gelitten haben; deren Leben von Krieg, Steuerausbeutung, Hunger, Kälte und Krankheit zerfetzt wurde. Wie unten die vielen Belegstellen zeigen, verliert das Buch kaum den entscheidenden Blick auf das grosse Leid der Bevölkerung, die mitten in der Kleinen Eiszeit von ihrer Regierung, die sich in diesem Punkte nur um Ruhm und Dynastie scherte, im Stich gelassen wurde und für die sehr fragwürdigen Ziele ihres Königs zugrunde ging. Auf der einen Seite haben wir also den tief beeindruckenden kulturellen Glanz des Grand Siècle, auf der anderen, immens grösseren Seite den brutalen Horror. Daher müssen wir auch den Einwand beiseitelassen, dass zu wenig über jenen Glanz geschrieben wird, als der Titel eigentlich implizieren könnte. Denn dieses Buch zeichnet sich eben gerade in seiner Bemühung aus, stets wieder darauf aufmerksam zu machen, was fernab der schönen Kultur zugunsten der wenigen Privilegierten die politischen Entscheidungen in Versailles für die Millionen Menschen in Frankreich bedeuteten und was eigentlich die ethische Verantwortung gewesen wäre: eine Aus-senpolitik des Friedens und eine Innenpolitik der Wohlfahrt; nicht dass Ludwigs Regierung die einzige wäre, die hier komplett versagt (7, 18f., 111–115, 136–138, 142, 193, 199, 201f., 211, 236–242, 244, 246–251, 261–270, 294f., 316, 328, 331, 344f., 355, 361, 364f., 367–369).

Zitierweise:
Burri, Andreas: Rezension zu: Externbrink, Sven: Ludwig XIV. König im großen Welttheater, Paderborn 2021. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 116, 2022, S. 432-433. Online: https://doi.org/10.24894/2673-3641.00127.

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